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ÖDP-Symposium Wachstumskritik - Wirtschaft ohne Wachstumszwang!

Die Wirtschaft steht unter einem Wachstumszwang mit gravierenden negativen Auswirkungen auf die Natur und die Gesellschaft.
ÖDP diskutiert „Grenzen des Wachstums“

Impulsreferat
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Prof. Dr. Christian Kreiß, Isabella Hirsch, Oliver Richters, Prof. Dr. Martin Quaas, Prof. Dr. Mathias Binswanger, Prof. Dr. Irmi Seidl, Jörg Sommer (v.l.n.r.) 

Die Wachstumskritik ist eine zentrale politische Botschaft der ÖDP. Wichtigste These: die Wirtschaft steht unter einem Wachstumszwang mit gravierenden negativen Auswirkungen auf die Natur und die Gesellschaft – die Grenzen des Wachtsums sind längst erreicht. Daher hat die ÖDP ein Symposium zur Wachstumskritik unter dem Motto „Wirtschaft ohne Wachstumszwang“ mit einem hochkarätig besetzten Podium sowie zahlreichen Workshops durchgeführt. Namhafte Wissenschaftler aus dem gesamten deutschsprachigen Raum waren der Einladung nach Coburg gefolgt.

Prof. Dr. Christian Kreiß kritisierte zwei wesentliche Faktoren als Wachstumstreiber. Zum einen die geplante Obsoleszenz, d.h. viele Produkte und Geräte versagten vorzeitig ihren Dienst, obwohl alles technische Wissen und die entsprechenden Materialien und Produktionsmethoden für eine viel längere Haltbarkeit vorhanden sei. Als weiteren Faktor kritisierte Kreiß die Werbung, die immer neue Bedürfnisse wecke. „Alles dies generiert unnötige Arbeit, aber dieser Begriff kommt in den Wirtschaftswissenschaften bisher nicht vor.“

Prof. Dr. Mathias Binswanger untermauerte die Einschätzung von Kreiß; er sprach von einer „psychologischen Schrottreife“ vieler Produkte, die bereits schon nach kurzer Zeit durch neuere Modelle als „Statussymbol“ ersetzt werden, wie z.B. Autos oder Smartphones. „Wachstum wird durch die Weckung weiterer Bedürfnisse verursacht“. Wachstum war über lange Zeit erwünscht, um den Wohlstand zu sichern, jetzt bemerke man aber, dass weiteres Wachstum die Menschen nicht glücklicher macht. Zudem entstünden immer größere Kollateralschäden in der Umwelt. Es sei aber nicht so einfach, jetzt das Wachstum zu beenden.

Mit Konzepten einer Postwachstumsgesellschaft beschäftigt sich Prof. Dr. Irmi Seidl. So sei die Wachstumsabhängigkeit der Gesellschaft auch deshalb so stark, weil nur damit genug Erwerbsarbeitsstellen zur Verfügung stünden. Um diese Abhängigkeit zu durchbrechen brauche es neue Formen des „tätig seins“. Neben der klassischen Erwerbsarbeit soll das Arbeiten ohne Einkommen, z.B. im Ehrenamt und in der Nachbarschaftshilfe, eine größere Rolle spielen.

Jörg Sommer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umwelthilfe, kritisierte, dass unsere Märkte zwar viel reguliert, aber zu wenig gesteuert würden. „Zudem besteuern wir Leistung und fördern Ressourcenverbrauch.“ Man müsse aber die ökologischen Grenzen anerkennen, in diesen Grenzen soziales Wohl organisieren und letztendlich daran sein wirtschaftliches Handeln ausrichten. Auch die Verteilungsfrage dürfe nicht aus den Augen verloren werden, betonte Sommer.

Isabella Hirsch von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) stellte fest, dass „der Markt“ in der Landwirtschaft nicht funktionieren könne, denn viele Faktoren, wie z.B. Wetter, Artenvielfalt, Krankheiten ließen sich nicht steuern. „Markt funktioniert nicht wirklich gut bei der Lebensmittelproduktion.“ Die Verteilung der Gelder in der Landwirtschaft müsse geändert werden, z.B. brauchen wir mehr Gelder für umwelt- und tiergerechte Produktionsweisen. Sie wünscht sich, dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher das „Supermarktregal gegen einen Bauernladen eintauschen“.

Der Physiker und Ökonom Oliver Richters betonte schließlich, dass man unsere Marktwirtschaft „reparieren“ könne: Dafür sei erforderlich, die Quellen „leistungsloser Einkommen“ trockenzulegen, ebenso den Ressourcenverbrauch, der sehr stark mit dem Wirtschaftswachstum gekoppelt sei.

Prof. Dr. Martin Quaas hingegen stellte das Motto der Veranstaltung in Frage: „Der Fokus auf das Wirtschaftswachstum ist fehl am Platze, da es doch nur in theoretischen Modellen vorkommt.“ Er sieht bei einer Reihe von neuen Produkten kein Problem, wenn es dort zum (nachhaltigen) Wachstum kommt. Allerdings betonte auch er, dass die Grenzen des Wachstums beim Ressourcenverbrauch schon lange erreicht seien und in vielen Bereichen es zu Schrumpfungen kommen müsse.

Nach den beiden Tagen erwarten nun ÖDP-Bundesvorsitzender Christoph Raabs und Bundesschatzmeister Günther Brendle-Behnisch, dass die ÖDP eine umfangreiche Beschreibung erarbeiten wird, wie ein neues Wirtschaftssystem ohne Wachstumszwang in Form einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft in Zukunft funktionieren kann. Für die weitere Vertiefung der aufgezeigten Lösungsansätze müsse die Arbeit mit Experten in Gesprächen und auf weiteren Symposien weitergehen. „Viele einzelne sinnvolle Lösungen warten darauf, nun in einem Gesamtkonzept zusammengefügt werden“, so Bundesvorsitzender Raabs.

„Fertig sind wir damit noch lange nicht – das ist uns bewusst! Aber wir sind auf dem Weg und wir sind überzeugt, dass es ein guter Weg ist, den wir hier eingeschlagen haben und dass er zum Erfolg führen wird. Wichtig ist dabei auch, dass wir die richtigen Fragen stellen, die uns weiterbringen in unserem Forschen und Entdecken“, so Brendle-Behnisch in einem Fazit zur Tagung.

Video Podiumsdiskussion

Die Wachstumsfrage

Nico Paech stellt in "frings 2-2020" fest, dass die immensen Wohlstandzuwächse der vergangenen Jahrzehnte eine immer störanfälliger werdenden Ökonomie zu verdanken seien: global entgrenzte Beschaffungs- und Absatzmärkte, industrielle Spezialisierung, Digitalisierung ... Die Pandemie zeigt, wie fragil die moderne Zivilisation geworden ist.
Politische Reaktionen wollen den Wohlstand nicht antasten. Weiterhin wird unverbesserlich an den Fortschritt geglaubt oder die Mäßigung der Ansprüche abgelehnt, weil dafür keine demokratischen Mehrheiten gewonnen werden können. Deshalb wird politische Handlungsfähigkeit durch kurzfristige Symptompolitik vorgetäuscht. Die Schulden türmen sich weiter auf. Sollen diese wieder durch Wachstum getilgt werden, fördert es die Klimakatastrophe.
Wir kommen nicht umhin, Wachstum, Globalisierung und Technologieabhängigkeit einzugrenzen. Lebensstilkorrekturen müssen risikiert werden, um das Überleben zu sichern. Der Abschied vom Wachstumsdogma ist überfällig. "Die Überlebensfähigkeit erfordert jedoch, den fortschrittsbesoffenen Versprechungen eines längst gescheiterten, nur noch künstlich beatmeten Wohlstandsmodells widerstehen zu können."

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