Marktwirtschaft reparieren
Klimawandel: Wir wissen, wir müssen in den nächsten 30 Jahren unsere Nettoemissionen auf Null bringen, um überhaupt noch eine Chance zu haben, die ökologischen Systeme zu stabilisieren, so dass wir dort gut leben können. Plastikmüll, extreme Wetterereignisse - alles Ergebnisse des Erfolgs unseres Wirtschaftssystems: Es wird nicht nur erfolgreich gewirtschaftet, sondern auch in großem Maße Schaden angerichtet.
Ich vertrete die These, dass Marktwirtschaft das richtige Wirtschaftssystem ist, aber dass die Regeln umformuliert werden müssen, so dass Klima, Umwelt, Ozeane … eine Chance auf Überleben haben.
Was ist das attraktiv an Marktwirtschaft?
Marktwirtschaft ist ein einfaches Wirtschaftssystem (Was möchte ich? Was möchte ich produzieren? Wo möchte ich arbeiten? Kann ich es mir leisten?). Sie bietet die Möglichkeit über Geld mit jedem Menschen auf der Welt in Interaktion zu treten, ökonomischen Austausch zu treiben, eine Transaktion zwischen Unbekannten abschließen – eine geniale Idee.
1. Die Regeln sind simpel:
Der Unternehmer muss Kosten decken und Gewinn erwirtschaften.
Der Konsument muss schauen, ob er sich leisten kann.
Statt Schenken und Nehmen in kleinen Gruppen, kann Wirtschaften ausgeweitet werden auf eine große anonyme Gruppe. Ich kann frei und freiwillig Entscheidungen treffen. Die vielen Entscheidungen er einzelnen werden zu einem Großen und Ganzen.
2. Es kann dezentral koordiniert werden.
Wenn ich in Kooperation und Gesprächen eine Gesellschaft koordinieren will, habe ich dieses Dezentrale nicht. Das ist ein Nachteil alternativer Konzepte.
3. Marktwirtschaft ist ein System, das eine Robustheit eingebaut hat. Es funktioniert problemlos und fehlerfrei. Preise spielen eine wichtige Rolle = Kommunikationsmedium über den Wert von Leistungen, die ausgetauscht werden. Die Preise können sich anpassen und die Wirtschaft organisiert sich selbst.
Diese drei wertvollen Eigenschaften sind wichtig bewahrt zu werden.
Das Problem, das damit verbunden ist, ist, dass Marktwirtschaft weder ökologisch noch gerecht sein muss. Sie funktioniert auch, wenn die Ausgangsbedingungen völlig ungerecht sind. Wenn Preise Auskunft geben sollen, was teuer und wertvoll ist und ich es erlaube, dass man das Ökosystem kostenlos verschmutzen darf, dann wird dieser Prozess dazu führen, dass zu viele Ressourcen entnommen werden, zu viele Emissionen die Umwelt verschmutzen …
Die Forderung, dass wir die ökologischen und sozialen Aspekte stärker berücksichtigen, entspringt der Tatsache, dass wir keine Rahmenbedingungen gesetzt haben, die das garantieren. Marktwirtschaft ist gut darin, politische und gesellschaftliche Regeln in Preise umzusetzen. Aber wenn es keine Regeln gibt oder diese falsch sind, dann ist auch das Endergebnis falsch. Wir müssen die ökologischen und sozialen Aspekte in das Handeln von Unternehmen und Personen integrieren.
Es lohnt sich etwas Defektes instand zu setzen. Wir müssen uns nicht auf die Suche nach einem neuen Wirtschaftssystem begeben. Neben der wirtschaftlichen Bilanz eines Unternehmens brauchen wir auch eine ökologische und soziale Bilanz: Wie ist der Beitrag zum Gemeinwohl? Wir müssen die sozialen und ökologschen Aspekte einbinden in die monetäre Rechnung.
Wenn Umweltverschmutzung teuer ist, dann werden Unternehmen sich zwangsläufig entscheiden müssen, weniger Umweltverschmutzung anzustreben.
Wie kommen wir zu einem gerechten und nachhaltigem System?
Gerechtigkeit ist eine schwierige Frage. Wie kommt es, dass ein Hebammengehalt so niedrig ist und ein VW-Chef Boni erhält, obwohl er durch Betrügereien aufgefallen ist? Die Vorstellung, was gerecht ist, ist in dieser Gesellschaft nicht einheitlich.
Eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hat die Menschen befragt: Was bedeutet für Sie Gerechtigkeit. Sie boten vier mögliche Antworten an:
- Gleichheit,
- Deckung des Bedarfs (Hilfe für Bedürftige)
- Leistungsprinzip (Leistung soll sich lohnen)
- Anrecht (von Herkunft er, Adelstitel)
Erstaunlich: Es gibt zwischen den Parteien kaum Unterschiede, was die Menschen als gerecht erachten. Zwei wichtige Gerechtigkeitsprinzipien stehen über den anderen: Leistung und Bedarfsdeckung. Man lässt also zunächst einmal den Markt machen, aber im Nachgang wird auf politischem Wege eine Umverteilung eingeführt, die dafür sorgt, dass niemand herunterfällt.
Gibt es Verletzungen der Leistungsgerechtigkeit in der Marktwirtschaft und wie lassen die sich nutzen, um vernünftige politische Maßnahmen zu ergreifen. Leistungsgerechtigkeit bedeutet: wer die Kosten hat, soll den Nutzen haben und umgekehrt. Umstritten wird das Thema dann, wenn es nicht so einfach festgelegt werden kann. Wenn ich ein Buch geschrieben habe, steckt da viel Arbeit drin, aber ob es gut ist, kann ich nicht entscheiden. Das tun andere. Und das ist ein anderes Kriterium von Leistung. Die anderen entscheiden, ob die Leistung in Ordnung ist. Der Nachteil, dass sich Leistung nicht einfach bestimmen lässt, ist, dass es schwierig ist, aus der Idee von Leistungsgerechtigkeit Politik zu machen. Der Vorteil ist, dass es nicht ganz so schwierig ist, zu beurteilen, was keine Leistung ist.
Leistung und Gegenleistung fällt in folgenden Punkten völlig auseinander:
1. Brennpunkt: ökologische Komponente. Warum lohnt es sich für RWE, den Hambacher Wald abzuholzen und die Kohle zu fördern. Sie tun so, als ob sie die Kohle produziert hätten. Die Leistung von Natur in Jahrmillionen wird als eigene Leistung ausgegeben. Sie erzeugen keine Kohle, kein Öl, Kupfer..... Die Leistung der Natur wird als die eigene ausgegeben. Die Kosten, die dabei entstehen, werden von den Leuten, die den Nutzen haben (z.B. weil sie ihre Wohnung heizen oder mit dem Auto fahren), gar nicht getragen. Die Kosten tragen die, die unter den ökologsichen Belastungen leiden: Stickoxide, Lärm, .... Kosten und Nutzen sind nicht im Einklang.
Der Ressourcenverbrauch ist der maßgeblich Treiber der ökolgoischen Zerstörung. Wir wissen, dass wir den Ressourcenverbrauch begrenzen müssen, aber es ist attraktiv, so viel zu verbrauchen, weil man sich Wettbewerbsvorteile verschaffen kann (Landwirtschaft: ein 50 ha Hof wird von einer Person bewirtschaftet, aber nur bei Einsatz von Diesel, Mineraldünger, Stahl). Die Leistung wird nicht von einer Person erbracht, sondern von jeder Menge Rohstoffe. So lange der Verbrauch attraktiv ist, wird sich daran nichts ändern. Es wird nicht funktionieren, dass die Leute einsehen, dass sie weniger verbrauchen müssen. Die ökonomischen Anreize sind so groß, dass da eine individuelle Einsicht unwahrscheinlich erscheint. Deshalb brauchen wir politische Obergrenzen dessen, was wir aus dem Boden holen können. Man könnte Zertifikate verkaufen an diejenigen, die etwas aus dem Boden holen wollen. Das Problem ist an dieser Stelle: Wenn ich Ressourcenverbrauch teurer mache, trifft es immer die Ärmsten. Deshalb müssen die Einnahmen, die erzielt werden, wieder ausgeschüttet werden an die Bevölkerung (auch weltweit) = Ökobonus. Jeder Mensch auf der Erde hätte den gleichen Anspruch auf die Früchte der Erde (Gleichheit). Es ist nicht so, dass irgend jemand von uns diese Ressourcen produziert hätte. Von daher kann man da gar nicht mit Leistungsgerechtigkeit argumentieren. Dann muss man sich an Gleicheit (an dem nächsten Prinzip) zu orientieren.
2. Grund und Boden
Mieten und Hauspreise in Städten explodieren. Die Lage der Immobilien zahlt sich aus. Grundstücke werden wertvoll, weil eine Stadt attraktiv ist: Schulen, Uni, Bahnhof, Firmen, Einkaufsmöglichkeiten - Leistungen, die der Staat oder andere Personen getätigt haben. Ein Grundstück wird wertvoll durch die Leistung anderer Menschen. Wer die Kosten getragen hat (die Allgemeinheit), ist nicht der, der am Ende den Nutzen hat. Den hat der Eigner des Grundstücks. Es ist wichtig in der Debatte zu differenzieren zwischen Grund und Boden (Lage) und dem Gebäude. Das Gebäude hat er bezahlt, für die gute Lage kann er nichts. Kosten und Nutzen fallen auseinander. Den Wert des Bodens müsste man nur besteuern. Bodenrichtwertkarten gibt es. Die Idee einer Bodenwertsteuer müsste umgesetzt werden. Der Allgemeinheit sollte der Ertrag zugute kommen, um damit wieder Schulen, Feuerwehren etc. zu bauen. (In Berlin explodieren die Bodenpreise so, dass die Stadt nicht in der Lage ist, ihre Feuerwehr noch anständig zu finanzieren.) Die Kosten können nicht mehr von der Allgemeinheit getragen werden, weil der Nutzen privatisiert wurde. Es wurde Geld der Allgemeinheit genommen, die eine Leistung erbracht hat (z.B. über ihre Lohnsteuer), um öffentliche Infrastruktur zu finanzieren (private Leistung wird vergemeinschaftet, Infrastruktur wird gebaut, aber die Erträge = gesteigerte Bodenpreise werden privatisiert). Das ist eine völlige Abkopplung derer, die profitieren und derjenigen, die zahlen. In der heutigen Wirtschaft gibt es insofern keine Leistungsgerechtigkeit. Gerechtigkeitsansprüche stimmen in keiner Weise mit der Realität überein. Neben den natürlcihen Ressourcen ist es der Boden.
3. Machtbegrenzung ist ein zentrales Element von Marktwirtschaft. Marktwirtschaft funktioniert denzentral. Letzten Endes heißt das Machtbegrenzung. Es werden viele Entscheidungen getroffen und niemand hat zentral eine Kontrolle darüber, wo was produziert und investiert wird. Unser politisches System ist darauf aufgebaut, Macht zu begrenzen: Gewaltenteilung, parlamentarische Demokratie. So soll das Missverhalten Einzelner verhindert werden. Für die Ökonomen heißt Machtbegrenzung Wettbewerb, also Monopole verhindern. Das reicht aber nicht aus. In der Finanzkrise waren Unternehmen "too big to fail" / "too big to jail". Wir sehen daran, dass hier das Prinzip von Machtbegrenzung außer Kraft gesetzt ist. Unternehmen ist es durch ihre Größe / ihre Arbeitsplätze gelungen, den Staat und die Gesellschaft in eine Art Geiselhaft zu nehmen. Wir können bestimmte Unternehmen nicht mehr pleite gehen lassen. Die schlechten Eigenschaften, die immer gerne staatlichen Konzernen zugeschrieben werden, wurden in diesem Fall mit den schlechten Eigenschaften von privaten Konzernen kombiniert. Wieder werden Profite und Gewinne privatisiert und die Kosten auf die Gesellschaft abgewälzt. Wir müssen über wirtschaftliche Macht, aber auch über große Vermögen nachdenken. Sie sind inkompatibel mit Demokratie und auch mit Marktwirtschaft. Die Größe von Betrieben muss begrenzt werden, um ihren politischen Einfluss zu begrenzen. Andernfalls gelingt es ihnen immer wieder, ihr Geschäftsmodell politisch abzusichern und zu verhindern, dass die regulierenden Kräfte, die eine Marktwirtschaft haben soll, wirken. So erzielen sie dauerhaft unangemessene Einkünfte.
Politik sollte sich an guten Regeln (verhindern, dass leistungslose Einkommen erzielt werden) orientieren. So würde mehr Gerechtigkeit hergestellt. Bedingungsloses Grundeinkommen sehe ich kritisch, wenn man die beschriebenen Vorteile abschaffen würde, weil dann die Diskrepanz nicht mehr so groß wäre. Es wäre gut, ein ökologische Grundeinkommen einzuführen, indem die Erträge aus dem Verkauf von Zertifikaten an alle ausgeschüttet wird. Das würde der Leistungsgerechtigkeit mehr entsprechen. Die Idee ist, die Markteinkommen geradezubiegen, statt große Ungerechtigkeiten, die durch den Markt entstanden sind, politisch zu korrigieren. Es ist leichter sich zu einigen auf Dinge, die gemeinunwohl sind. Dass es keine gute Idee ist, die Erde zu zerstören, darauf können sich viele besser einigen, als auf die Frage, was das Richtige, das Gute ist. Wir brauchen politisch bessere Regeln. Wir können nicht auf die Selbstsäuerung und die individuelle Einsicht hoffen. Natürlich sollte man in seinem Alltag versuchen, auf die größten ökologischen Katastrophen und sozialen Ungerechtigkeiten zu verzichten. Aber wir Bürger müssen uns auch dafür einsetzen, dass bessere politische Regeln Realität werden, sonst bekommen wir die Probleme, die wir heute haben, in den Griff.
aus einem Vortrag von Oliver Richters: Marktwirtschaft reparieren